Wie du durch Machwahn unglücklich und durch Loslassen zufrieden wirst
Hast du heute schon etwas gemacht, das dein Glück gesteigert hat? Nein? Dann bist du vielleicht ein zufriedener Mensch. Oder du hast zumindest schon eine wesentliche Fähigkeit, die es dir ermöglicht, ein zufriedener Mensch zu werden.
Wir glauben, wir müssten immer alles machen: Wir müssten uns schön machen, wir müssten uns erfolgreich machen, wir müssten uns glücklich machen. Was dem Machen im Weg steht, wollen wir schnell los werden. Sogar andere Leute: „Trenn dich bloß schnell von Leuten, die dir nicht gut tun“, heißt ein Rat, den man jetzt oft hört oder liest. Wir wollen unser Leben am liebsten einrichten, wie man eine Wohnung einrichtet. Am besten also perfekt. Blöd, dass es keine Innenarchitekten für das Leben gibt!
Glückmachen macht Stress
Aber ist das wirklich der Königsweg zu einem guten Leben, einem, das mich nachhaltig und tief zufrieden macht? Mache ich mir ein gelingendes Leben, wenn ich ständig an meinem Glück arbeite? Kann ich mein Glück selber herstellen? Oder ist es letztlich eine Art Machwahn, der mich zu der Vorstellung treibt?
Eines mache ich mir im Machwahn garantiert und sehr effektiv: Stress. All dem Stress auf der Arbeit, Stress mit den Kindern, Stress mit dem Chef, Stress mit den Eltern, und so weiter, packe ich freiwillig noch einen Stress obendrauf. Der Glücksstress flüstert mir ständig ein: Eigentlich müsste ich mich doch häufiger glücklich fühlen. Tue ich aber nicht. Wie kann das sein? Wo ich mir doch so viel Mühe gebe!
Ja, wie kann das sein? Kaum ist die Frage in meinem Kopf, gehe ich wieder daran, etwas dagegen zu tun: Ich spreche noch häufiger positive Affirmationen, gehe einmal mehr pro Woche zum Sport, versuche, mit meinem Partner mehr „Quality Time“ zu verbringen, etc. Mit anderen Worten: Ich mache mir noch mehr Stress. Glücklicher komme ich mir immer noch nicht vor. Das Staunen ist groß.
Halber Mensch
Ich staune, weil ich meinen Tag, meine Woche, mein ganzes Dasein vollpacke, und mich immer noch wie ein halber Mensch fühle. Zwar ahne ich schon, dass ein gutes Leben etwas mit Fülle zu tun hat, und dass die Fülle, die durch das viele Machen in meinem Kalender und in der Quecksilbersäule meines Stresspegels entsteht, damit nicht gemeint sein kann. Aber was mache ich falsch?
Eine Antwort ist: Ich glaube, die ganze Zeit etwas machen zu müssen. Und das erzeugt meinen Glücksstress.
Eine weitere Antwort ist: Ich hänge der Hoffnung nach, mit dem Herstellen von Glücksmomenten hätte ich mein gutes Leben unter Kontrolle.
Machwahn und Glücksstress aber machen mich zu einem halben Menschen, nicht zu einem erfüllten.
Keine Kontrolle
Im Grunde steht hinter der Hoffnung eine Angst. Wir alle haben eine Angst davor (der eine mehr, die andere weniger), über etwas keine Kontrolle zu haben. Über viele Dinge, mit denen wir täglich zu tun haben, haben wir auch tatsächlich keine Kontrolle.
- Wir wissen nicht, ob uns morgen ein Starkregen den Keller volllaufen lässt.
- Wir können dem Partner nicht ins Herz gucken und alle seine Gefühle erkennen.
- Wir sehen dem Chef nicht an, ob er mit unserer Arbeit zufrieden ist.
- Wir sehen nicht vorher, ob wir bald krank werden oder gesund bleiben.
Es gibt tausend Punkte, an denen wir einfach nicht sicher sein können. Im Alltag kommen wir damit meistens gut klar. Unsere Unsicherheitskompetenz ist in der Regel erstaunlich hoch.
Unterschwellig köchelt die Angst aber weiter vor sich hin. Wir versuchen ihr zu entgehen, indem wir dauernd gegen sie anarbeiten: mit Beziehungsarbeit, Karriereplänen, Körperoptimierung, Gesundheitsvorsorge. Vor allem wollen wir glücklich sein, also leisten wir auch noch jede Menge Glücksarbeit.
Der Zufall schenkt uns manchmal singende Sägen
Wenn ich aus dem gefühlten halben Menschen einen ganzen machen will, hilft mir eine Glücksarbeit aber nicht viel. Denn der halbe Mensch bin ich unter anderem wegen des Glücksstresses. Kontrolle panzert mich ein und scheitert obendrein, weil ich tatsächlich nur wenig kontrollieren kann.
Wenn ich ein ganzer Mensch sein will, nehme ich die ganze Fülle des Lebens auf. Die Fülle erschließt sich, wenn ich zuerst akzeptiere, dass ich eben nicht alles kontrollieren und herstellen kann. Zu einer Fülle komme ich, wenn ich mich auch einmal überraschen lasse von dem, was passiert. Kontrolle blockt die Überraschung ab und lässt sie als Zumutung erscheinen.
Tania Luna und LeeAnn Renninger, zwei „Surprisologinnen“ aus New York, berichten von einer Klientin, deren größter Traum es war, professionelle Tänzerin zu werden. Sie war auf einem guten Weg, als ein Verkehrsunfall ihrem Traum ein jähes Ende bereitete. Was nun? Sie fiel in ein gigantisches Loch. Um sie abzulenken, nahmen die Eltern ihre vollkommen deprimierte Tochter mit auf eine Europareise. Bei einem Konzert in Wien kam dann das unerwartete Ereignis, das ihr wieder Zuversicht gab: Auf der Bühne spielte ein Mann mit einer „singenden Säge“. Eben noch lethargisch, geriet sie in den Bann dieses ungewöhnlichen Instruments. Nach der Reise besorgte sie sich sofort eine geeignete Säge und begann zu üben. Sie ist heute eine profilierte und erfolgreiche Sägenspielerin. Die Zufallsbekanntschaft mit dem Instrument hat ihr eine vollkommen neue Richtung gegeben.
Ganzer Mensch
Statt das, was mir passiert, als Zumutung zu sehen, fahre ich besser damit, das Geschehen aufzugreifen und auf Möglichkeiten abzuklopfen, wie es mich meinem guten Leben näherbringen kann. Wenn dir das Leben eine Zitrone schenkt, beiß kräftig rein, ekel dich einmal richtig davor, wie sauer sie schmeckt, und freu dich dann daran, dass dir gerade deine Idee für einen WLAN-gesteuerten Zitronenentsafter gekommen ist. (Und wenn deine Idee nicht zu einem großen Business wird: So what! Die nächste Zitrone kommt bestimmt.)
Glück ist etwas flüchtiges. Nachhaltig zufrieden können Menschen werden, wenn sie die Fülle des Lebens aufnehmen. Wir können nicht dauernd happy sein – sollten wir auch nicht. Aber wir können ganze Menschen sein, die dem Leben offen und gelassen begegnen. Das macht zufrieden.
Wann fällt es dir am leichtesten, etwas, das du nicht kontrollieren kannst, zu akzeptieren?
Der Autor
Peter Plöger ist seit über einem Jahrzehnt Berufe-Entdecker, Orientierer und Autor und staunt darüber, dass die Freude daran immer noch wächst.
In seinen Büchern und in seinen Projekten ( z. B. „Why we work“ - www.whywework.de) kümmert er sich darum, dass Menschen ihr Gutes Leben finden – unter anderem in dem Beruf, der wirklich der richtige für sie ist.