Schluss mit dem Stress, immer glücklich sein zu müssen! Ich steig aus.
Mimi hat sich etwas vorgenommen. Mimi will ab heute den größten Teil des Tages traurig sein. Sie tut alles dafür, dieses Gefühl möglichst oft und möglichst intensiv zu haben: schlecht drauf sein. Sie strengt sich richtig an. Neulich hat sie sogar einen Kurs in Trauerarbeit besucht, 2 Tage für 450 Euro, obwohl überhaupt niemand gestorben ist. Zu Hause liest sie sich laut Affirmationen vor („Ich hänge ganz bewusst und achtsam durch“, „Meine Körpermitte fühlt sich an wie ein kalter, schwerer Basaltbrocken“, „Grau, grau, grau“, und so weiter) und macht Mundwinkel-Yoga: fünf Minuten nach unten ziehen pro Tag reichen bereits, um die Stimmung spürbar und nachhaltig zu senken. Mit Sport hat sie aufgehört, Bewegung und frische Luft heben nur die Laune. Und ihre Mühen zahlen sich aus: Seitdem Mimi dauernd schlecht drauf ist, geht es ihr richtig gut.
Warum arbeiten wir so sehr am Glück?
Warum kommt uns so eine Geschichte eigentlich wie Comedy vor? Setzt doch einmal für „traurig“ „glücklich“ ein. Check? Die Geschichte ist dann nicht mehr komisch, sondern millionenfach gelebter Alltag (nur ohne das Ende, nach dem es Mimi richtig gut geht). Warum aber ist es für uns so selbstverständlich, um das „glücklich sein“ so einen Aufriss zu machen, während andere (nicht minder alltägliche) Gefühle uns diese Aufmerksamkeit offenbar nicht wert sind? Wir arbeiten dauernd an unserem Glück, als ginge es darum, die Welt am drehen halten zu müssen. Und es fällt uns nicht mal mehr auf, dass wir uns dafür so anstrengen.
Glüxit - Schluss mit dem Glücksstress!
Ich mache da nicht mehr mit. Ich sage: Schluss mit dem Glücksstress!
* Ich besuche keine Kurse (weder online noch offline) und nehme kein Coaching, das mir zeigen soll, wie ich am besten glücklich werde. Eine einzige Methode zum Lebensglück wird es nie geben, weil wir alle sehr unterschiedlich sind und das Leben dynamisch.
* Aus demselben Grund glaube ich nicht blind den vielen Glücksratgebern, in denen ich lauter Rezepte lesen kann à la „Tue das, was ich dir rate, und das Glück kommt – schwupp – zu dir“.
* Ich versuche nicht, meinen Geist durch Affirmationen, Übungen, etc. auf das Glück hin zu biegen. Lebensglück ist von sehr viel mehr abhängig als meinem bescheidenen Geist und seinen beschränkten Fähigkeiten. Außerdem müsste ich nach dieser Methode zuerst wieder etwas leisten (mein Mindset einrichten), bevor ich Glück erwarten darf.
* Ich versuche nicht, „Glückserfahrungen“ zu vermehren. Das permanente Optimieren bringt mir genau den Stress, den ich ja durch die „Glückserfahrungen“ vermeiden möchte. Außerdem hat, wer die meiste Zeit des Tages nur ein Gefühl hat, eine Geisteskrankheit und kein gutes Leben.
Max, max, max!
Der Glücksstress rührt daher, dass wir wieder dem alten Rezept auf den Leim gehen: maximieren, maximieren, maximieren. Wir sind es gewohnt, das für gut zu halten, das möglichst groß, schön, weit, vielzählig, usw. ist. Das geht mit dem guten Leben aber nicht. Das gute Leben muss immer den Ausgleich enthalten, zu dem besonders Hohen auch das besonders Tiefe. Glück zu optimieren macht am Ende nur unglücklich. Deshalb ist das, was wir mit dem Glück machen, genauso absurd wie das, was Mimi mit ihrem Trauergefühl tut.
Zufriedenheit ist mehr als Glück.
Ich steige aus, weil ich zufrieden sein will. Nicht glücklich sein müssen heißt nämlich nicht, stattdessen traurig oder anderweitig schlecht drauf zu sein. Es heißt, sich den Stress nicht zu machen, der mich daran hindert, wirklich zufrieden zu sein mit meinem Leben. Zufriedenheit ist mehr als Glück. Zufriedenheit ist der Eindruck, den ich von meinem Leben habe, wenn es ein gelingendes Leben ist. Ein gelingendes Leben – das ist eines, das ich durch Lebenskunst erreiche, nicht durch noch mehr Glücksanstrengungen.
Bevor ich anfangen kann, mir diese Lebenskunst anzueignen, muss ich bereit sein auszusteigen. Der Glüxit – ich hab ihn geschafft. Jetzt geht's mir gut.
Bist du auch schon einmal ausgestiegen aus dem Glücksstress?
Wie hast du das gemacht?
Der Autor
Peter Plöger ist seit über einem Jahrzehnt Berufe-Entdecker, Orientierer und Autor und staunt darüber, dass die Freude daran immer noch wächst.
In seinen Büchern und in seinen Projekten ( z. B. „Why we work“ - www.whywework.de) kümmert er sich darum, dass Menschen ihr Gutes Leben finden – unter anderem in dem Beruf, der wirklich der richtige für sie ist.
Kommentar schreiben